Wenn wir heute im Kloster Neustift in Vahrn gemeinsam 40 Jahre Bibliotheksverband Südtirol (BVS) feiern, dann könnte der Ort für die Jubiläumsfeier nicht besser gewählt sein: draußen der historische Klostergarten mit Brunnen, Blumen- und Kräuterbeeten, Weinlaube, Mammutbaum und jahrhundertealten Ginkgobäumen; drinnen die prächtige Bibliothek mit rund 90.000 Werken aus acht Jahrhunderten. Wer an diesem Ort eintritt, kann sich der Selbstbesinnung hingeben und unwillkürlich Ausschau nach dem Höheren halten, den ein oder anderen Schatz aus der Bibliothek heben oder einfach einen guten Tropfen aus der Stiftskellerei genießen. Unweigerlich fällt mir an diesem wunderbaren Ort eine Aussage von Marcus Tullius Cicero ein, der meinte: „Wenn du eine Bibliothek und einen Garten hast, dann wird es dir an nichts fehlen.“ Wie viel Wahrheit doch in dieser Aussage steckt!
Bibliotheken: Orte der Begegnung, zum Nur-Dasein ohne Konsumzwang
Aus der Seele spricht mir Cicero, wenn ich mich an die Lockdowns und Ausgangsbeschränkungen in den vergangenen anderthalb Jahren erinnere. Wer angesichts dieser Umstände im eigenen Garten werkeln und entspannen konnte, der konnte sich glücklich schätzen. Und wer noch dazu ein gutes Buch zur Hand hatte, umso mehr. Vor diesem Hintergrund wiegt für mich Ciceros Zitat mehr als es dies in normalen Zeiten tut. Gezeigt hat mir dies auch die Begegnung mit einer jungen Frau, die mir gestand, dass ihr in dieser schwierigen Zeit ein persönlicher Rückzugsort, wie es die Bibliothek für sie sei, gefehlt habe. Der sogenannte „Dritte Ort“ zum Nur-Dasein ohne Konsumzwang als Ort der Begegnung habe gefehlt. Gerade in dieser schwierigen Zeit brauchen wir eine geistige Kraft. Die Antwort auf diese Zeit ist die Kultur bzw. sind die Bibliotheken, welche die kulturelle Nahversorgung sichern. Und noch etwas hat uns die Corona-Zeit vor Augen geführt: Die Bedeutung der Bibliotheken ist zeitlos.
Unser Bibliothekswesen: eine der größten kulturpolitischen Errungenschaften
Eine derartige Sicht auf die Bibliothek als sozialer Treffpunkt, Ort der Kultur und Begegnung und zugleich des Rückzugs vom geschäftigen Alltag wäre Ende des vergangenen Jahrhunderts nicht denkbar gewesen. So gab es im Jahr 1981 in Südtirol zahlreiche Jagd- und Waldaufseher sowie Förster, aber nur acht hauptberufliche Bibliothekare. Ausgehend von diesem Umstand lautete die Schlussfolgerung seinerzeit: In diesem Land sei es besser, ein Rehlein zu sein oder ein Bäumlein im Walde als ein lesender Mensch. De facto wurden in den 80er-Jahren die Bibliotheken hauptsächlich ehrenamtlich organisiert. Sie hatten noch nicht jenen Stellenwert, den wir ihnen heute zuschreiben. 1981 wurde der Bibliotheksverband als Interessensvertretung der Bibliotheken und der Bibliothekarinnen und Bibliothekare gegründet, der heute rund 1.650 Mitglieder zählt. Seit dessen Gründung hat sich viel verändert und vieles wurde getan, damit Bibliotheken zu einer geistigen Kraft geworden sind, zu einem „Dritten Ort“, der innerhalb des gesellschaftlichen Lebens nicht mehr wegzudenken ist. Die dahin gehende Entwicklung des Südtiroler Bibliothekswesens kann daher zurecht als eine der größten kulturpolitischen Errungenschaften der vergangenen Jahre bezeichnet werden. Hierfür ist einerseits die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Bibliotheksverband Südtirol und dem Amt für Bibliotheken und Lesen von ausschlaggebender Bedeutung, andererseits jene mit den ehrenamtlichen und hauptberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort.
Danke für 40 Jahre verdienstvolle Arbeit
Ich gratuliere dem Bibliotheksverband zu 40 Jahren verdienstvoller Arbeit und danke allen, die Südtirols Bibliothekslandschaft aufgebaut und gestaltet haben. Ich bin mir sicher: Mit Weitsicht und Tatkraft wird der Bibliotheksverband auch in Zukunft sich selbst und seine Dienstleistungen weiterentwickeln und dafür Sorge tragen, dass Bibliotheken ihre Kraft weiter entfalten. Dadurch werden Menschen auch weiterhin die Bibliothek als ihren Ort zum Lesen, zum Austausch und zur Inspiration entdecken.